Fahrradfahren in Berlin – Folge 1

Ich fahre ja gerne mit dem Rad. Besonders gerne benutze ich eine Kombination aus Fahrrad und S-Bahn. Früher (wo noch alles besser war) ging das mit der Umweltkarte preiswert. Deswegen hieß die Umweltkarte Umweltkarte, weil man damit die Umwelt schonte. Dann kam man darauf, dass auch Leute die S-Bahn benutzen, die mit dem Auto zur S-Bahn fahren und dann in die S-Bahn steigen. Das ist natürlich viel umweltfreundlicher, als mit dem Fahrrad zur S-Bahn zu fahren und dort mit dem Fahrrad in die S-Bahn zu steigen, um am Zielbahnhof mit dem Fahrrad weiter zu fahren. Weil durch den Fahrradtransport mit der S-Bahn geht ja jede Menge Energie drauf, der CO2-Ausstoß erhöht sich, die S-Bahn muß mehr Emmissionsrechte kaufen… kurz: es ist teurer, das Fahrrad zu transportieren als den Autofahrer. Also hat die S-Bahn still und heimlich das Fahrrad aus der Umweltkarte herausgenommen, was anfangs für sehr viel Verwirrung und auch zu höheren Einnahmen der Mitarbeiter im Kontrolldienst geführt hat.
Man mußte also für das Fahrrad extra zahlen.
Anfangs waren es, glaube ich 5,00 €, dann 6,00 € und jetzt sind es stolze 8,00 €.
In meinem Fall zahle ich jetzt 70,00 € für die sogenannte Umweltkarte plus 8,00 € für die Fahrradmonatskarte, also 78,00 € im Monat. Das geht allerdings mit Jahreskarte auch billiger; und es geht mit allen Tarifzonen auch erheblich teurer.
Trotzdem bleibt diese Kombination noch die schnellste Fortbewegungsmethode durch die Stadt, wenn man nicht zu oft umsteigen muß. Aber das ist eine andere Geschichte und die soll ein andermal erzählt werden.
Ich wollte mit dieser langen Einleitung auch darauf hinaus, dass es mir mit dem Fortbewegungsmittel Fahrrad auch darauf ankommt, schnell fortzukommen.
Und schon sind wir beim wichtigsten Punkt.

Fahrradfahrer werden im Berliner Straßenverkehr benachteiligt. Im offiziellen Sprachgebrauch ist das natürlich eine Sicherheitsmaßnahme. Wenn der Radfahrer von der Straße auf den Bürgersteig verschwindet, kann der Autoverkehr ohne Behinderung rollen. Wenn die Ampelvorrangschaltung zuerst die Radfahrer fahren läßt und dann die Rechtsabbieger, dient es in erster Linie dem Autofahrer, der jetzt zügig rechts abbiegen kann, weil die Radfahrer an der schon wieder roten Fahrradampel halten müssen. Die Chance, auf der „Grünen Welle“ mitzufahren, tendiert so gegen null. Man muß sich sowieso schon ranhalten, um bei einem Verkehrsfluß, der ampelgesteuert ca. 60 kmh macht, zwei bis maximal 4 Ampeln, je nach Abstand zu „machen“, aber mit der sogenannten „Ampelvorrangschaltung“ bleibt man an jeder Ampel stehen.

Fahrradfahrer werden im Berliner Straßenverkehr benachteiligt, weil sie sich den Platz auf dem Bürgersteig mit dem Fußgänger teilen müssen. Weil man auf den schwächeren Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen muß:
Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
„§1 Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

Vermeidbar wird also bei den Verkehrsplanern, Straßenverkehrsbehörden und auch bei der Rennleitung so ausgelegt, dass der/die Fahrradfahrer/in (Nee, jetzt wird das versächlicht) von der Strasse verschwindet.
Das Fahrrad gehört also nicht auf die Straße. Viel zu gefährlich. Vermeidbar. Allein das ungleiche Kräfteverhältnis. Die Schrammen im Lack! So ein schmales Teil und blockiert die ganze Spur.
Nee.

Diese Philosophie hat sich so verinnerlicht, dass von Rücksichtnahme keine Rede mehr ist. Es ist quasi ungeschriebenes Gesetz, dass Radfahrer nicht auf die Strasse gehören. Selbst die vor 11 Jahren (Elf!) geänderte Fassung der Straßenverkehrs-Ordnung wird ignoriert:
㤠41 Vorschriftzeichen
Zeichen 237 STVO
Zeichen 237 – Radfahrer
Diese Zeichen stehen rechts oder links. Die Sinnbilder der Zeichen 237 und 239 können auch gemeinsam auf einem Schild, durch einen senkrechten weißen Streifen getrennt, gezeigt werden. Ein gemeinsamer Rad- und Gehweg kann durch ein Schild gekennzeichnet sein, das – durch einen waagerechten weißen Streifen getrennt – die entsprechenden Sinnbilder zeigt. Das Zeichen „Fußgänger“ steht nur dort, wo eine Klarstellung notwendig ist. Durch ein Zusatzschild kann die Benutzung des Radweges durch Mofas gestattet werden.
Die Zeichen bedeuten:
a) Radfahrer, Reiter und Fußgänger müssen die für sie bestimmten Sonderwege benutzen. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen sie nicht benutzen;
b) wer ein Mofa durch Treten fortbewegt, muß den Radweg benutzen;
c) auf einem gemeinsamen Rad- und Gehweg haben Radfahrer und die Führer von motorisierten Zweiradfahrzeugen auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen;
d) auf Reitwegen dürfen Pferde geführt werden;
e) wird bei Zeichen 239 durch Zusatzschild Fahrzeugverkehr zugelassen, so darf nur mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden;
f) wird bei Zeichen 237 durch Zusatzschild anderer Fahrzeugverkehr zugelassen, so darf nur mit mäßiger Geschwindigkeit gefahren werden.“
* Hervorhebung von mir.
Daraus folgt: Wenn das Zeichen 237 an einem auf dem Bürgersteig befindlichen Fahrradweg nicht vorhanden ist, muß dieser Fahrradweg nicht benutzt werden.

Warum muß er nicht benutzt werden?
Weil er
a) zu gefährlich ist
b) nicht den Vorschriften enspricht.

Der Radweg muss bestimmte bauliche Voraussetzungen erfüllen (unter anderem: lichte Breite (befestigter Verkehrsraum plus Sicherheitsraum) mindestens 1,50 m bzw. 2,50 m bei gemeinsamen Fuß- und Radwegen, geradlinige Wegführung und „zumutbare Beschaffenheit“). Diese sind in der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung festgelegt.

An dieser Stelle möchte ich ein Artikel aus Wikipedia zitieren und auszeichnen:

„Ausnahmen von der Benutzungspflicht

Grundsätzlich kann eine Benutzungspflicht nur bestehen, wenn der Radweg eine erkennbare Alternative zur Fahrbahn darstellt, also neben ihr in der gleichen Straße verläuft (straßenbegleitend). Bei abseits von Fahrbahnen geführten (eigenständigen) Radwegen stellt die Beschilderung mit Zeichen 237, 240 oder 241 einen Hinweis auf die Benutzungserlaubnis mit Fahrrädern und ein Benutzungsverbot mit anderen Verkehrsarten dar.
Wenn ein als benutzungspflichtig gekennzeichneter Radweg praktisch nicht benutzbar oder unzumutbar ist, z. B. durch parkende Autos oder andere Hindernisse, Baustellen oder fehlende Schneeräumung, entfällt die Benutzungspflicht (vgl. LG Oldenburg, 29. Juli 1952, VkBl. 53, 190). Auf den Gehweg darf nicht ausgewichen werden, da dieser nur den Fußgängern vorbehalten ist. Ein Celler OLG-Urteil sagt aus, dass auch eine Verletzung des „Luftraums“ des Gehweges nur mit dem reinragenden Lenker schon unzulässig sei.
Der Radweg muss auch nicht benutzt werden, wenn nicht absehbar ist, wohin er führt, oder keine Auf- bzw. Abfahrmöglichkeit besteht. Zum Abbiegen dürfen Radwege rechtzeitig vor der Kreuzung verlassen werden, um sich dort einzuordnen.
Bei Fahrrädern, die nicht auf den Radweg passen, zum Beispiel Dreiräder, Fahrräder mit Anhänger, soll die Nichtbenutzung von Radwegen „nicht beanstandet werden“ (VwV-StVO: Zu §2, Absatz 4, Satz 2, Punkt II.2.a (Randziffer 23)) [4].
Ein Schild „Radfahrer absteigen“, z.B. an einer Baustelle aufgestellt, hat rechtlich keine Bedeutung. Es zeigt aber an, dass die Benutzung des Radweges nur eingeschränkt möglich und nicht mehr verpflichtend ist. Es empfiehlt sich, die Fahrbahn zu benutzen oder auf dem Fussweg zu schieben[5].
Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen mit dem Fahrrad Gehwege benutzen, dürfen also nicht auf Radwegen fahren. Ab dem vollendeten 8. Lebensjahr bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen sie Gehwege benutzen, das heißt sie haben die Wahl zwischen Gehweg oder Fahrbahn bzw. Radweg (StVO § 2 Abs. 5).
Gegen die Anordnung der Benutzungspflicht als Verwaltungsakt kann man in einigen Bundesländern bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde Widerspruch einlegen. Auf jeden Fall steht der Klageweg vor dem zuständigen Verwaltungsgericht offen.“

Die in eckigen Klammern gesetzten Ziffern verweisen auf Quellen in der Originalseite.

Diese Regeln und ihre Ausnahmen haben dazu geführt, dass bei vorhandenen Radwegen immer stillschweigend davon ausgegangen wird, dass der Radweg auch benutzt werden muß.
Dies ist definitiv falsch!

Selbst wenn ein Radweg mit dem Zeichen 237 markiert ist, muß er nicht auf jeden Fall benutzt werden, s. o..
Ich gehe noch einen Schritt weiter und betrachte noch die Beschaffenheit der Fahrradwege. Wenn die Oberfläche der Radwege aus Pflaster besteht, besteht eine Gesundheitsgefährdung durch Vibrationen. Besonders gefährlich sind Pflasterarten mit Fase.
Fasenausbildung bei Pflastersteinen
Je nach Pflastersteinart werden Steine ohne Fase, rundumgefaste und teilgefaste Pflastersteine unterschieden. Es gibt Verbundpflastersteine, die grundsätzlich nur ohne Fase gefertigt werden, aber auch solche, die in ein und demselben Format sowohl ohne Fase als auch rundumgefast angeboten werden, und es gibt Pflastersteine, die in ein und demselben Format sowohl scharfkantig als auch teilweise gefast gefertigt werden.
Wirkung Reifen Pflaster
Nach längerem Fahren auf gepflasterten Oberflächen kommt es durch die Vibrationen zu Durchblutungsstörungen in den Händen und im Beckenbereich. Auch gefederte Fahrräder, gefederte Sättel oder Gabelfederungen können diese Vibrationen nicht ausgleichen. Linderung gibt es allenfalls durch Verminderung des Reifendrucks, was einen größeren Kraftaufwand und verringerte Geschwindigkeit zur Folge hat. Der Rollwiderstand wird größer, auch bei breiteren Reifen.

Fahrradfahrer werden im Berliner Straßenverkehr benachteiligt, weil

– die Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden, (Fahrradfahren in Berlin – Folge 2)

– die Verkehrsführung umständlich ist, (Fahrradfahren in Berlin – Folge 3)

– sie nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer gesehen werden, (Fahrradfahren in Berlin – Folge 4)

– viele Radfahrer die Verkehrsregeln nicht beachten. (Fahrradfahren in Berlin – Folge 5)

Links:
Radwegbenutzungspflicht (Polizei Berlin)
Toter Winkel (Polizei Berlin)
Schulkinder als Radfahrer (Polizei Berlin)
Gesamtstatistik Radfahrunfälle (Polizei Berlin)
Radfahren in Berlin (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung)
Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC Berlin)
Radzeit.pdf (Zeitschrift des ADFC – Ausgabe 01/07 mit Beiträgen zu Radwegebenutzungspflicht und einem Interview mit dem ADAC)
Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht (Petitionsausschuss Deutscher Bundestag)
Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)
Radweg (Wikipedia)
Fahrrad (Wikipedia)

Fahrradfahren in Berlin – Folge 1

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