Fahrradfahren in Berlin – Folge 4

«Folge 3
Fahrradfahrer werden im Berliner Straßenverkehr benachteiligt, weil

– sie nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer gesehen werden.

Wie schon in den vorangegangenen Folgen angeklungen ist, werden Fahrradfahrer/innen nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer behandelt. Wenn man sich dieser Tatsache historisch-methodisch nähert, wundert das allerdings nicht. Ich nähere mich der Sache jetzt allerdings polemisch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die ersten Fortbewegungsmittel die eigenen Beine und – Fahrräder. Mit dem Wiederaufbau und dem damit einhergehenden „Wirtschaftswunder“ entwarfen die Stadtplaner „visionäre“ Stadtlandschaften, die dem neuen Fetisch der Gesellschaft breite Schneisen durch die kriegszerstörten Städte schlugen.
Schon die ersten Unfallstatistiken (wenn man sie heute noch als solche bezeichnen kann) wiesen den Verkehrsplanern den Weg: Trennung der Verkehrsarten. So entstanden die ersten Fahrradwege auf den Bürgersteigen, wie wir sie heute noch vorfinden. Die Verkehrsarten wurden konsequent entflechtet. Im Falle von Fußgängern wurden diese auf Brücken oder in Unterführungen genötigt, um eine unterbrechungsfreie Autostromversorgung zu gewährleisten. Man erkannte zwar schon recht bald, welchen Unsinn man da betrieb, aber die Verkehrsstrategen wollten sich keine Blöße geben, indem sie das soeben teuer Erbaute gleich wieder ad absurdum führten.
Die gesamte Verkehrspolitik diente nur dem einzigen Ziel, den Individualverkehr genügend Raum zu geben. So war auch der öffentliche Personennahverkehr ein Opfer. Kürzungen im gut ausgebauten Nahverkehrsnetz, im Westteil Berlins sogar das ganze Straßenbahnnetz, folgten mehr Bedarf im Individualverkehr. Besonders die von den Verkehrsplanern angewandte Salamitaktik im Genehmigungsverfahren, die überall Stadtautobahnstummel hinterließ und neue Staus im Innenstadtbereich produzierte, welches dann als selbst erfüllende Prophezeiung den nächsten Abschnitt herbeidiskutierte, der dann wieder von drei Spuren auf eine Spur wieder Stau… so ging das praktisch von 1947 (FNP 50) bis 2006 (Eröffnung Tiergartentunnel). Die Chronik der Bürgerinitiative Westtangente stellt dies dar.
In diesen Jahrzehnten wurde die Gewohnheit gepflegt, dass Fahrradfahrer nichts auf der Straße zu suchen haben.
Bis 1997.
Dann wurde nach zähen Verhandlungen die sogenannte „Fahrradnovelle“ zur Straßenverkehrsordnung in Kraft gesetzt.
Die Änderungen bezüglich des Fahrradverkehrs haben sich bis heute noch nicht zu allen Autofahrern herumgesprochen und wird auch von Einigen hartnäckig ignoriert. In Berlin ist die Situation für den bezirksübergreifenden Durchgangsverkehr durch die durch den Mauerbau getrennte Infrastruktur besonders schwierig. Dieser Ost-West Verkehr ist durch zahlreiche Nadelöhre gebremst und auch einer der wenigen Verkehrsströme, die gewachsen sind. Verkehrsströme zwischen den West-Bezirken sind geringer geworden, dafür sind die in der Mauerzeit betulichen Straßen zu Durchgangsstraßen mit Belastungen deutlich oberhalb zulässiger Werte geworden. Trotz der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte wird immer noch nicht gehandelt. Die Web-Seiten der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung strotzen vor guten Absichtserklärungen und umschreiben die Situation mit schönen Worten; in der Realität wird aber tatenlos zugesehen, wie Angebote im öffentlichen Nahverkehr ausgedünnt werden und auch noch als Verbesserung verkauft werden. In manchen Fällen grenzt dies schon an Bürgerverarschung. Ein Beispiel nur aus meiner persönlichen Erfahrung.
Die Straßenbahnlinien 52 und 53 fuhren vom Hackeschen Markt auf derselben Strecke bis Grabbeallee/ Pastor-Niemöller-Platz. Von dort fuhr die 52 bis Niederschönhausen/Schillerstr. und die 53 bis Rosenthal Nord. Jede für sich alle 20 Minuten, aber zusammen auf der Kernstrecke bis Grabbeallee/ Pastor-Niemöller-Platz alle 10 Minuten, soweit die Verkehrslage es erlaubte.
Dann kamen die Metro-Trams. Schon der Begriff ist peinlich, genauso wie Metro-Bus. Der Clou: Die M 1 fährt jetzt alle 10 Minuten bis Grabbeallee/ Pastor-Niemöller-Platz und „flügelt“ sich dann auf in den Niederschönhausen/Schillerstr.-Flügel und den Rosenthal Nord-Flügel. Jeder Flügel für sich alle 20 Minuten, aber zusammen auf der Kernstrecke bis Grabbeallee/ Pastor-Niemöller-Platz alle 10 Minuten, soweit die Verkehrslage es erlaubt.
Außer dem Namen hat sich nichts geändert. Man muß aufpassen, in welchen Flügel man steigt. Egal, wohin man will, man muß genauso lange warten wir zuvor; Im Extremfall am U-und S-Bahnhof Pankow 19 Minuten auf den nächsten Flügel nach Niederschönhausen/Schillerstr., weil der fährt immer kurz bevor man in Pankow mit der S-Bahn ankommt, abfährt.

Zurück zum Kern.
Nach der Novelle der Straßenverkehrsordnung hatten die Behörden Zeit, ihre Fahrradwege zu überprüfen und die nicht geeigneten auszumustern, sprich die Zeichen 237 abzumontieren. Wegen einiger schwammigen Formulierungen bezüglich der Bauweise und Anforderungen an die Fahrradwege in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) konnten viele Gebotszeichen so lange stehen bleiben, bis sie auf gerichtliche Anordnung entfernt wurden. Die Mehrzahl der Schilder ist allerdings immer noch vorhanden, meist in den als gefährlich gekennzeichneten Kreuzungsbereichen, also dort, wo die meisten Unfälle verursacht werden. Statt dessen wird der „Tote Winkel“ propagiert und mit einigem, auch finanziellen Aufwand an den Schulen bekannt gemacht. Im Zweifelsfall soll man an den Kreuzungen lieber den Rechtsabbiegern Vorfahrt geben, als das man auf dem Fahrradweg in einen Toten Winkel gerät und platt gefahren wird.
Auch heute noch werden Fahrradwege gebaut, die in keinster Weise den Anforderungen bezüglich Breite, Sicherheitsstreifen und Belagsqualität gerecht werden. Die EU-Mittel müssen ja weg. Auch heute noch gibt es das trügerische Sicherheitsempfinden auf dem Radweg. Heute mehr denn je werden die Bürgersteige als Radwege benutzt, weil es auf der Straße zu gefährlich ist.

VorbeifahrtAmpel

Auch heute noch werden Radfahrer auf rüdeste Art von Möchtegernpolizisten auf den Bürgersteig genötigt, oftmals sogar mit der Gewalt der Kotflügel. Auch heute noch werden Radfahrer kriminalisiert, wenn sie wegen nicht geeigneter Radwege die Straße benutzen. Autofahrer jedoch, die hupend, schneidend und drängelnd Radfahrer gefährden, werden nicht verfolgt.
Dies alles zusammengenommen ergibt den mangelnden Respekt der motorisierten Verkehrsteilnehmer vor dem schwächeren Fahrradfahrer.
In der letzten Folge fassen wir uns an die eigene Nase.
Fahrradfahren in Berlin – Folge 5

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