Es liegt mir fern, schicke ich hier schonmal voraus, Opfer von Gewalttaten zu verhöhnen oder gewaltverherrlichende Reden zu schwingen, weil ich ja im Kern absolut nicht militant bin und renitent schon gar nicht.
Seit einiger Zeit reden die Leute von der Klimakatastrophe, die sich bei uns höchstens mal darin bemerkbar macht, dass einem ein Baum auf den Kopf oder auf das des Deutschen liebste Spielzeug, das Auto fällt.
Auch das bitte nicht so sehen, als würde ich Opfer von Stürmen ins Lächerliche ziehen wollen.
Es ist halt einfach ein Thema, so wie ungefähr die Schweinegrippe oder notleidende Banken.
Zu dieser Zeit also gab es Leute, die der übermächtigen Gewalt des motorisierten Individualverkehrs Zeichen entgegensetzen wollten und damit begannen, Gebotsschilder Fahrräder betreffend (z.B. Zeichen 237 – Radfahrer und 237 und 239) abzuschrauben. Was auch zuerst gar nicht auffiel, weil wer vermisst in einem Deutschen Schilderwald schon ein einzelnes Schild. Was aber auffiel, waren die vielen Radfahrer auf den Strassen, weil auf einmal wegen der Bankenkrise überall gebaut wurde. So schlug man mehrere Fliegen mit einer Klappe: Die arbeitslosen Banker und Broker fanden auf dem Tiefbau wieder Arbeit und fuhren wieder öfter Fahrrad, was einerseits politisch korrekt und andererseits wirtschaftlich nötig war, weil die Porsches und A6 standen im Pfandamt und mit dem Zweitwagen hätten sie nur unnötig Verdacht erregt.
Radfahrer auf der Strasse gingen einher mit gesperrten Fußwegen und eingeengten Strassen wegen der vielen Baustellen, die einerseits eingerichtet und andererseits von der „Bewegung Hans-Christoph Seebohm“ gleich wieder abgerüstet wurden, was ebenfalls aus verschiedenen Gründen nicht sogleich auffiel.
Um mal wieder zum Thema zu kommen, trat die zweite bürgerliche Stadtguerilla mit einer Aktion in das Bewusstsein der Exekutive, als sie einen Fahrradstreifen in der Oranienburger Strasse in Berlin-Mitte auf das Pflaster malend markierte. Mit dem Worten „Reclaim The Streets!“ meldete sich das „Kommando Heinz Erhard – Immer diese Radfahrer!“ auf der Bühne und forderte eine angemessene Beteiligung der Radfahrer am Strassenverkehr. Das wurde noch schulterzuckend zur Kenntnis genommen, zumal die Farbe dem Abrieb und dem Regen wenig Widerstand entgegensetzte. Richtig auffallend wurde die Gruppe, als praktisch über Nacht die Frankfurter Allee in Berlin in eine Fahrradstrasse umgewidmet wurde und für den motorisierten Individualverkehr gesperrt war.
Dann fielen auch die fehlenden Schilder auf, aber wegen Geldmangel wurden sie nicht ersetzt. Neugebaute Fahrradwege auf den Bürgersteigen wurden über Nacht abgebaut und gesperrt. Auch hier verzichtete die Exekutive auf den Wiederherstellung und steckte das Geld lieber in den Neubau der Strassen.
Das „Kommando Heinz Erhard – Immer diese Radfahrer!“ hatte offensichtlich Sympathisanten in den Bezirksämtern und bei der Landesregierung. Weil die Schilder auch brav bei den Behörden deponiert wurden, gab es keinen Anlass zum Einschreiten.
Viele Aktionen der Aktivisten wurden nachträglich legalisiert. In den Zeitungen wurden Vorschläge von Lesern abgedruckt, welche Schritte sie als nächstes unternehmen sollten. Nur als die Standstreifen auf den Stadtautobahnen gelbe Fahrradsignets bekamen, wurden sie umgehend entfernt. Als sich die Gruppe in den Zentralcomputer der Verkehrslenkung hackte und die „Grüne Welle“ auf 18 km/h einstellte, kam es auch zu keinem Chaos, weil die durchschnittliche Geschwindigkeit wegen der vielen Baustellen sowieso zur Schrittgeschwindigkeit tendierte.
Heute wird kolportiert, dass viele Aktivisten aus dieser Bewegung den Weg in den öffentlichen Dienst oder in die Politik gefunden haben. Die Ungerechtigkeiten und das krasse Missverhältnis zwischen den Verkehrsarten Auto und Fahrrad wurde als Angriff auf die Menschenwürde verstanden, quasi ein Verstoss gegen ein Grundrecht. Zumal man genauso dringend irgendwo hinmuss auch ein Grundrecht ist, nur dass es wegen der vielen Staus mit dem Fahrrad viel schneller geht.