Pflanzen lernen

Vor einiger Zeit hatte ich mich schon einmal zu diesem Thema geäußert, allerdings mit einem den Auszubildenden gegenüber vorwurfsvollen Ton. Was damals begründet war, trifft heute nicht mehr zu. Meine jetzigen Auszubildenden haben ein engagierteres Verhältnis zu ihrem Ausbildungsberuf.
Deshalb, sozusagen als Wiederholung und Ergänzung eine mildere Fassung.
Unbestritten ist ja, dass wir mehrere Sinne haben, mit denen wir unsere Umwelt wahrnehmen und aus der Verarbeitung der Wahrnehmung lernen. Je intensiver eine Wahrnehmung ist, je mehr Sinne angesprochen werden, umso eindrücklicher ist die Erinnerung, Speicherung, Verarbeitung eines Sachverhaltes, eines Umstandes, eines Gegenstandes. Feuer zum Beispiel sieht man, riecht man, man hört es und fühlt es. Wenn man etwas mit Feuer in Berührung gekommenes, etwa ein schön gegrilltes Steak in den Mund steckt, schmeckt man es auch. Und wenn man sieht, wie jemand Fleisch, Grillkohle, Grillanzünder und ein Feuerzeug in den Einkaufswagen lädt, dann ahnt man das Feuer auch.
Nun kann man den Eindruck des Feuers, welches alle Sinne ansprechen kann, nicht ohne weiteres auf eine Pflanze übertragen. Es gibt ja Arten, deren Merkmale prägen sich gut ein, auch so, dass man sie nachvollziehen kann. Das Äquivalent zum Feuer wäre zum Beispiel die Brennnessel. Pflanzen, die Dornen haben, prägen sich ebenfalls gut ein. Wenn man sie denn angefasst hat oder sie sieht: „Wenn ich diese Pflanze anfasse, kann es pieken!“

Fünf Sinne hat der Mensch: Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Tasten.

Hören.
Ein Mensch, zum Lernen wild entschlossen,
hört zu dem Meister, unverdrossen.
Doch bleibt er tatenlos und sitzt,
so wird es mit dem Lernen nichts.
(frei nach Eugen Roth)

Hören, zuhören, was von fachkundigem Munde den Hörsinn erreicht, ist der am wenigsten nachhaltige Sinn. Von der Lernform des Hörens profitieren die meisten Menschen nur, wenn sie auch emotional berührt werden. Dies kann durch geschickte, klare, witzige oder übersteigerte Modulation und Sprache geschehen.

Sehen.
Ein Mensch sieht interessiert in die Natur,
was ist das für eine Blume nur?
Er sieht ins Buch und siehe da!
Eine Acalypha hispida!
(sehr frei nach Eugen Roth)

Sehen, Anschauen einer Pflanze auch mit Hilfsmitteln wie einer Lupe, oder auf einer Zeichnung, einem Bild ist für sich allein genommen „flüchtig“, weil das Bild sofort von einem anderen Bild verdrängt wird. Nur ganz wenige auffällige Details werden im Gedächtnis gespeichert. Ganz anders ist jedoch die Merkfähigkeit, wenn zu dem Sehen noch das Hören kommt. Vorträge, die mit Bildern, Filmen oder sonstigen visuellen Mitteln „untermalt“ werden, sind eher im Gedächtnis haften geblieben, als schnöde Reden.

Schmecken.
Ein Mensch der sich ein Schnitzel briet,
Bemerkte, daß ihm das mißriet.
Jedoch, da er es selbst gebraten,
Tut er, als wär es ihm geraten,
Und, um sich nicht zu strafen Lügen,
Ißt ers mit herzlichem Vergnügen.
(Eugen Roth)

Schmecken ist so eine Sache. Es nützt ja nichts, wenn man seine Erfahrung nicht mehr weitergeben kann, weil man statt in eine bekömmliche Frucht ins sprichwörtliche Gras gebissen hat. Der Geschmack als Wiedererkennungsfaktor ist aber nicht zu unterschätzen. Selbst bei „Blindverkostungen“ kann man eine Gurke noch von einer ähnlich aussehenden Zucchini oder einem Kürbis unterscheiden.

Riechen.
Ein Mensch, riechend an einer Blüte,
erkennt an der besondren Güte,
des Duftes, den er vor langer Zeit
gerochen:
Phlox paniculata ‚Landhochzeit‘
(zuviel Freiheit für Eugen Roth)

Schon ob eine Pflanze duftet oder nicht kann zur Bestimmung führen. So zum Beispiel bei der „Prinzessin der Nacht“, die nicht duftet, oder die „Königin der Nacht“, die duftet. Aber auch hier spielt der persönliche Geschmack eine Rolle, wo doch die Grenzen von „duftend“ zu „stinkend“ eine Schnittmenge bilden können.

Tasten.
Ein Mensch entdeckt mit bitterm Zorn,
Daß keine Rose ohne Dorn.
Doch muß ihn noch viel mehr erbosen,
Daß sehr viel Dornen ohne Rosen.
(Eugen Roth)

Neben dem „klassischen“ Beispiel mit den Brennnesseln ist Tasten, Fühlen, „Begreifen“ ein sehr wichtiges und hilfreiches Element beim Lernen, kann man doch Eigenheiten der Art mit den Fingern sehen (Im Museum: „Bitte nicht mit den Fingern gucken!) als mit den Augen. Zwischen Lonicera tatarica und Lonicera xylosteum kann das weiche, behaarte Blatt bei der Variabilität der Arten der entscheidende Hinweis auf Lonicera xylosteum sein.

Ein Mensch, der hört des Meisters Worte
und sieht dazu der Pflanze Sorte,
Betastend, Riechend an der Rinde,
erkennt den Rhododendron grande.
(sehr frei nach Eugen Roth)

Ganz entschieden lehrreich ist es, alle Sinne zu bewegen, anzusprechen, zu reizen. Der Gleichklang von Sprache, Bild, Fühlen, Riechen und Schmecken ist mit dem Sinn für Assoziationen die Methode, die am ehesten einen andauernden Lernerfolg verspricht. Allerdings setzt dies auch eine Aktivität des Lernenden voraus.

Hilfsmittel und Methoden.

Das Mittel der Wahl bleibt das Anschauungsobjekt selbst. Vor der Pflanze stehen, sie zu sehen, zu riechen, zu betasten und sich Notizen des Gehörten zu machen, ist die klassische Methode. Ohne die erklärenden Worte des Meisters, im Alleingang sozusagen, fehlen allerdings filternde Eingrenzungen. Mit dem Bestimmungsbuch in der Natur, kann ob fehlender Merkmale wie Blüten oder Früchte auch frustrierend sein.

Wiederholung.
Die Hinweise und Anmerkungen zu wiederholen, möglichst zu verschiedenen Jahreszeiten, kann hilfreich sein. Üben heisst ja auch einen Vorgang so lange zu wiederholen, bis man es kann.

Abschnitte, Äste, Zweige, Blätter Blüten und Früchte vorlegen und erklären. Eine konzentriertere Methode als der Rundgang, weil ablenkende Pausen entfallen. Man kann auch genauere Hinweise auf Merkmale geben, weil man auf diese Stelle genau zeigen kann – „Hier an der Blattbasis…“

Blätter und Blüten sammeln, pressen, trocknen und katalogisieren (-> Herbar). Erfordert Geduld und die entsprechende Ausrüstung und Einhaltung von Regeln, z.B. geschützte Pflanzen nicht zu sammeln. Hier werden auch viele Sinne angesprochen, es gibt einen Wiederholungseffekt und man hat einen eigenen „Katalog“.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Pflanzenbeschreibung im Berichtsheft. Man trägt Material zusammen, Fotos, Herbarbelege, man zeichnet ein Blatt, eine Blüte.

Man liest in Büchern, Katalogen, Zeitschriften und man versucht, das Erfasste gekürzt und aussagekräftig zu Papier zu bringen. Selbst das schiere Abschreiben aus dem Katalog bringt durch das „Tun“, der Verbindung von Kopf und Hand einiges Verwertbares für die biologisch-dynamische Festplatte.

Zeichnungen, Bilder, Scans sammeln, bezeichnen und sortieren. Komplexe Methode mit viel Arbeit.

Neben dem Fotografieren steht das Dokumentieren – welche Pflanze habe ich gerade fotographiert – und das Verarbeiten der Bilder wie Beschriften und Sortieren für Wiederholungseffekte.

Ferner kann man Synergien nutzen: die fotographierten Bilder kann man anschliessend herbarisieren.

Namenslisten der Pflanzenrundgänge kann man irgendwann wegwerfen. Hier geht es in erster Linie um Lernen mit Herz und Hand.

Karteikarten mit Namen oder mit Bildern verleiten zum regelmäßigen Umgang. Sie sind leicht zu handhaben, leicht zu erstellen und einfach zu transportieren.

Neben Namen können Bilder, Zeichnungen, Beschreibungen oder Hinweise auf Erkennungsmerkmale verarbeitet werden.

Memory mit Bildern der Blätter, Blüte, Frucht oder Rinde. In der Herstellung je nach Ausstattung aufwändig, lassen sich aber bei gleichen Formaten ohne Aufdruck leicht herstellen. Im Laufe eines Jahres, in dem man nie den Fotoapparat vergessen darf, hat man mehrere Varianten des Spiels vorrätig.

Tests. Immer wieder Tests, Abfragen, Lernzielkontrollen. Auch zwischendurch mal Fragen stellen: „Nennen Sie mir ein Pflanze mit gelben Blüten!“ „Ein Nadelbaum“ usw.

Eselsbrücken – „Fichte sticht, Tanne nicht.“ Auch Namen wie „Krampfadernbaum“ für Carpinus betulus können zum Lernen hilfreich sein.

Spiele. Zum Beispiel das „Galgenmännchen“. Politisch unkorrekt, aber lehrreich. Oder Stille Post. So wird aus einem Pfaffenhütchen ein Waffenhütchen. Hibbolea rhamses.

Vortragen. Wenn die Auszubildenden selber Pflanzen vorstellen, ist der Lerneffekt ungleich höher als wenn sie die Pflanze „nur für sich“ lernen. Jemanden seine Kenntnisse mitzuteilen stärkt das Selbstwertgefühl, dies prägt sich zusammen mit dem Vorgetragenen stärker ein. Jaja, Streber! mag man rufen, Besserwisser! Aber vorher bitte melden…

Die Summe aller Erfahrung – Assoziation – Ausschlussverfahren. Manchmal hilft zum Pflanzenerkennen auch die Summe seiner Erfahrung: Ausschliessen, was unmöglich ist. Wenn eine Pflanze in Europa nicht gehandelt wird, ist es relativ unwahrscheinlich, ihr in einer öffentlichen Grünanlage zu begegnen. Auch Pflanzen, die in unserem Klima nicht wachsen, kann man ausschliessen. Man kann Pflanzen ausschliessen, die Merkmale einer bestimmten vermuteten Art nicht haben. Man kann nach Familienmerkmalen gehen und die Gattungen durchdeklinieren. Man kann sich auf Recherchejagd durch Botanische Gärten oder durchs Internet begeben.

Raten. Nun ja, bei Prüfungen nicht so angesagt, aber Treffer können auch glücklich machen. Und wenn man glücklich ist, lernt man leichter. Es sei denn, man ist so schwer glücklich, dass man nur noch an das Eine denkt. Das lenkt dann wieder ab.

Ohne den „sechsten Sinn“, die Begeisterungsfähigkeit, das Interesse, das Erfolgserlebnis geht es aber sehr schwer. Man muss den Beruf nicht zu seinem Hobby machen, aber ein Hobby passend zum Beruf ist unschlagbar. Die Neigung sollte beim Broterwerb eine Rolle spielen.
Sonst wird das nix.

Dazu ein Wort aus der Autobiographie von Theodor Fontane, „Von 20 bis 30“, »Mein Leipzig lob‘ ich mir« 2. Kapitel:

„So war mein Leben im Neubertschen Hause. Man wolle jedoch aus dieser Aufzählung von Morgenspaziergängen im Rosental, von Sperlingefüttern bei Kintschy, von Doktorenbörse, von Verskorrespondenz mit Dr. Adler und Schlachtfelderbesuch um die Stadt herum nicht etwa den Schluß ziehen, daß mein Leben eine Reihenfolge kleiner allerliebster Allotrias gewesen wäre. Ganz das Gegenteil, und ich würde traurig sein, wenn es anders läge. Natürlich kann ich hier, wenn ich all das Weitzurückliegende wieder heraufbeschwöre, mit geflissentlicher Umgehung dessen, was das Metier verlangte, nur von den Extras sprechen, die den Tag einleiteten und abschlossen, aber der Tag selbst gehörte mit verschwindenden Ausnahmen dem an, für das ich da war und für das ich bezahlt wurde. Ja mehr, ich setzte meine Ehre darein, alles Dahingehörige nach bestem Vermögen zu tun, und segnete die Tage, wo’s so viel Arbeit gab, daß ich an andre Dinge gar nicht denken konnte. Je mehr, desto besser. Das war dann keine Qual, das war eine Lust, und wenn die Arbeitsstunden hinter mir lagen, konnt‘ ich die Freistunden um so freier genießen, je mehr ich das Gefühl hatte, vorher meine Schuldigkeit getan zu haben. Das Bedrückliche liegt immer in der Halbheit, in dem »nicht hü und nicht hott«.

Ich kann dies Verfahren, alles, was man an Geschäftlichem zu betreiben hat, immer ganz zu betreiben, allen jungen Leuten, die sich in ähnlicher Lage befinden, nicht dringend genug empfehlen; es ist das einzige Mittel, sich vor Unliebsamkeiten und eignem Unmut zu bewahren, von dem ich denn auch in all jenen Tagen, wo mein Beruf und meine Neigung auseinandergingen, keine Spur empfunden habe.“

Ein Mensch hockt da mit einem Stift,
Das Schreiben ist für ihn ein Gift.
Das Thema ist ihm Einerlei,
Er will nur, das es bald vorbei.
Der Meister sieht die Seelenqual.
Entläßt ihn aus dem Jammertal.
Die Neigung zeugt ihm ein Gesicht,
Nur leben kann er davon nicht.

(angelehnt an Eugen Roth)

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