Rauchen trotz Verbot

Ich gebe es zu, ich bin der Schlimmste. Ex-Raucher. Die Ex-Raucher sollen ja eh die Schlimmsten sein. Geradezu fanatisch. Pedantisch. Ohne jede Verhältnismäßigkeit. Auf einem offenen Bahnsteig (also an der frischen Luft) bei Orkan den Raucher zu bitten, die Zigarette auszumachen.
Warum?
Ganz einfach: Ich habe nicht mit dem Rauchen aufgehört, um anschließend den Dampf von den Rauchern einatmen zu müssen. Da hätte ich auch bei dem reinen, unverfälschten eigenen Qualm bleiben können.
Passivrauchen – ein schönes Wort, genauso schön wie finaler Rettungsschuss oder Kollateralschaden – soll ja gefährlicher, ungesünder (?) sein als Aktivrauchen, welches ja schon von dem Klang her besser ist: „Aktiv = zu lateinisch agere „machen, tätig sein“, rührig, zielstrebig, er ist eine aktive Natur, ein politisch, gesellschaftlich aktiver Mensch; ein aktiver Teilnehmer, Mitglied; aktiv mitarbeiten; sich aktiv einschalten, beteiligen; tätig, wirksam: aktive Beteiligung, Unterstützung.“ (DWDS)
Passiv dagegen ist negativ behaftet, „mit Hilfe einer Verbform ausgedrückte täterabgewandte Sehweise eines Geschehens, bei der der Träger der Handlung, sofern er genannt wird, nicht als Subjekt, sondern als weglaßbares präp. Objekt erscheint“ – „nicht rührig, nicht zielstrebig, ohne etw. zu unternehmen (gegen etw., jmdn.): eine passive Natur; ein passives Erdulden von Ungerechtigkeit; sich passiv verhalten; passiver Widerstand, Resistenz gewaltlose Form des (politischen) Widerstandes, die darin besteht, sich der Mitwirkung an den von einem meist übermächtigen Gegner gestellten Aufgaben zu entziehen“ (DWDS): Eine Opferrolle also.
Ich will aber kein Opfer sein. Mir reicht es, wenn ich ein Opfer des Marktes bin.
Also setze ich mich dem Risiko aus, von jungen, kräftig aussehenden rauchenden Männern auf dem S-Bahnsteig passiv vermöbeln zu lassen, nur weil ich mit dem Finger auf das Rauchverbotsschild hingewiesen habe?
Schliesslich ist das nicht nur irgendein Verbot der Bahn aus Imagegründen, sondern ein „Gesetz zur Einführung eines Rauchverbotes in Einrichtungen des Bundes und öffentlichen Verkehrsmitteln“.

Was tut die S-Bahn Berlin GmbH gegen das andauernde Rauchen auf den Bahnhöfen?
Ab und an eine Lautsprecherdurchsage: „Verehrte Fahrgäste, Bitte beachten Sie das Rauchverbot!“ Neulich habe ich einen Mitarbeiter der BVG auf dem S-Bahnhof Pankow rauchen sehen… ein schönes Vorbild.

Was treibt aber diejenigen, die trotz Verbot rauchen? Geltungssucht? Sucht? Beides? Kompensation (zu kleiner Penis)? Penisneid (gar keiner)? Es wird schon schwieriger, Freiräume zu finden, die Zonen und die Toleranzen werden immer kleiner. Wenn man sich mal anschaut, welche Umstände Raucher heutzutage haben, um eine Zigarette zu rauchen, da vergeht einem ja alles. Im Winter wird es noch schlimmer. Auf schneesturmumtosten Inseln mit klammen Fingern ein Feuerzeug zu bedienen, von Streichhölzern ganz zu schweigen. Die armen Schweine. Das kann doch kein Genuß sein. Dabei fällt mir ein, dass Harald Martenstein mal vor faschistoiden Nichtrauchern gewarnt hat. Aber die kleinen, gelben Kästchen auf den Fernbahnhöfen hat noch keiner Raucher-KZ genannt, oder? Das wäre ja auch schon wieder so eine Verniedlichung des Holocaust. Nein, „Mit Kippe unterm Heizpilz“ ist die Parole, einen vergleichbaren Minderheitenschutz hat es noch nicht gegeben, es sei denn, die Kampagne der SEDPDSDieLinke@agitprop.de gegen Hartz IV nimmt ausdrücklich Drückeberger und … nun ja, Sozialschmarotzer in Schutz. Selber Schuld ist auch keine Lösung, sonst gäbe es ja auch keine „Bild“ mehr.
Was treibt, ist das Besondere, Elitäre, Obercoole, ein Robin Hood der Selbstbestimmten, die nicht anerkennen wollen, dass sie die wahren Looser sind, mit Lungenkrebs, gelben Fingern und grauen Gardinen, die sich den Genuß noch leisten können, wenn sie nicht gerade vollgetankt haben. Die erkannt haben, dass die anderen Neider sind, verkrampfte, lebens- und lustfeindliche Gartenzwerge.
Was treibt, ist das allgemeine Laissez-faire einer Gesellschaft, die zu satt geworden ist. Einer Gesellschaft, in der die persönliche Freiheit ein so hohes Gut geworden ist, dass es sich über die Normen, Regeln und Gesetze stellen kann und es als tolerent, offen und freiheitlich bezeichnet werden kann, in Wirklichkeit aber einen Verfall von gesellschaftlichen und sozialen Normen darstellt: das ist der Untergang des Abendlandes.

Er war eben so,
war völlig daneben.
Er hat nie geraucht,
ging nie einen heben.
Statt Vinho und Gambas,
Vollmilch und Brot,
und was hat er davon?
Denn nun ist er tot…

Er saß wie ein Geier
auf seinen Moneten,
er ließ es nie krachen
auf diesem Planeten.
War immer versichert
für jegliche Not
und ich trinke auf ihn,
denn nun ist er tot…

Es lebe das Laster,
denn wer brav ist
wird nirgendwo vermißt.
Erst recht wenn er daran gestorben ist.

Er ging nie zum Aufriss
in heiße Lokale,
machte niemanden an
und niemals Randale.
Kein Cocktail am Strand
im Abendrot…
Er tut mir so leid,
denn nun ist er tot…

Er hat das Finanzamt
niemals beschummelt,
Und hätt‘ er ’ne Frau,
hätt‘ er sie nie befummelt.
Er war nie im Bett
mit Blond oder Rot.
Und jetzt ist es zu spät,
denn nun ist er tot…

Refrain

Er aß sich nie satt
und war trotzdem nicht schlank.
Er fuhr nie ans Meer,
denn die Sonne macht krank.
Alkohol war tabu,
weil das die Leber zerstört.
Er ist von innen vertrocknet
und von außen verdörrt.

Udo Jürgens – Es Lebe Das Laster

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